(c) H.-G. Gräbe, 11/2006 Quelle: http://www.hg-graebe.de/EigeneTexte/06-11-15.txt ================================================================ Bildungsprivatisierung und Wissensprivatisierung Rede auf der studentischen Vollversammlung am 15.11.2006 vor der Moritzbastei "Wenn du und ich jeder einen Apfel haben und wir diese tauschen, dann hat danach immer noch jeder nur einen Apfel. Wenn du und ich jeder eine Idee haben und wir diese tauschen, dann hat danach jeder von uns zwei Ideen." Es ist mit den Ideen also ein eigen Ding - und wenn hier gegen Bildungsprivatisierung demonstriert wird, dann sollte nicht übersehen werden, dass diese nur ein Teilaspekt viel umfassenderer Wissensprivatisierungspläne sind. Im Rahmen dieser Wissensprivatisierungspläne kommt der Bildungsprivatisierung allerdings eine wichtige Rolle zu. Mein Bild vom Tausch der Ideen setzt ja bereits voraus, dass Ideen als Wissensportionen - mit Schleifchen versehen - überhaupt aus einem Ideengefüge herausgenommen werden können. Und wo ist das nicht plausibler als im Bereich der universitären Lehre, die bisher schon in wohlverpackte Einheiten - genannt Studiengänge - zerlegt war. Nun gibt es kleinere Einheiten, genannt Module, und noch kleinere Einheiten - RLO's, reusable learning objects - spielen in E-Learning-Konzepten eine zentrale Rolle. Wer nun die Diskussionen um Modularisierung im letzten Jahr mit verfolgt hat, der hat auch die Schwierigkeiten und Sperrigkeit feststellen können, mit denen sich Wissen gegen eine solche Portionierung zur Wehr setzt. Bemerkbar wurde das nicht so sehr in den naturwiss.-technischen, sondern vor allem in den geisteswissenschaftlichen Fächern, wo eine ganze Ausbildungstradition - die als Magisterstudiengänge organisierten Zwei- und Dreifach-Studien - aufgegeben wurde. Ob das neue Konzept einer integrierten geisteswissenschaftlichen Ausbildung der damaligen Prorektorin hierfür einen wirklichen Ersatz bildet, wird die Zukunft zeigen. Diese Sperrigkeit liegt in der Natur der Wissensprozesse selbst, in denen es ja gerade darum geht, ein Bild der Welt aus den vielen Puzzleteilen *zusammen*zusetzen, die uns der Alltag liefert. Gesellschaft kam bisher immer nur dort zur Blüte, wo der Wissenschaft die Bedingungen zum gemeinsamen Arbeiten an diesem großen Puzzle geschaffen wurden. Es ist eine der absurdesten Ideen der heutigen Zeit anzunehmen, dass dies gerade in einer Wissensgesellschaft anders sein könnte. Dass vor dem Puzzlen zunächst einmal eine Bieterrunde eingeschoben wird, in der alle um den Tisch herum mit Pokerface ihre Puzzleteile meistbietend versteigern. Dass sie vorab ihre Puzzleteile nicht wirklich zeigen dürfen, versteht sich dabei von selbst. Wenn sich der eingetauschte Apfel im Nachhinein als faul herausstellt, dann kann ich den Tausch vielleicht rückgängig machen. Wenn sich die eingetauschte Idee als faul herausstellt, dann ist das aussichtslos, denn eine Idee - einmal aus der Flasche entwichen - ist nicht wieder zurückzuholen. So wie sich der Besitz eines Buches nicht im Akt des Kaufens erschöpft, sondern ich es auch lesen sollte - so ist es mit allem Wissen. Im Internetzeitalter wird der Akt des Beschaffens immer einfacher und es ist eine Anachronie, das Land der Ideen auf einmal mit Grenzen, Zäunen und Zollhäuschen zu pflastern, wenn genau dieselben in der realen Welt immer weiter abgeschafft werden. Wissenschaft ist in ihrem innersten Bestand bedroht und wehrt sich. Wehrt sich * durch eine deutliche Zunahme publizistischer Aktivitäten der Fachgesellschaften, * durch freizügig zugängliche Preprint-Server, * durch Neugründung von Zeitschriften, die dem Open-Access-Prinzip folgen, * durch Creative Commons - die weltweit zunehmend an Bedeutung gewinnende Bewegung, die Vergabe von Rechten an wissenschaftlichen Werken wieder in die Hand der Autoren zu bekommen * durch große Digitalisierungsprojekte wie Google Print und auch durch klare Positionen in politischen Fragen wie den aktuellen Auseinandersetzungen um die Novellierung des Urheberrechts. Dort stehen bekanntlich so elementare Fragen auf der Tagesordnung wie der automatische Wegfall des § 52 (a) UrhG zum Jahresende 2006. Es geht um die freizügige Nutzung von Texten in Seminaren, die dort geregelt wird. Ab Anfang 2007 wird es also nicht mehr so sein, dass Ihnen der Prof. die Seminartexte einfach ins Netz stellt, sondern Sie werden dort nur noch einen Link zu einem Bezahlangebot finden (dürfen). Ähnliches gilt für die Fernleihe der Bibliotheken, wo schon heute die perverse rechtliche Situation besteht, dass digital verfügbare Bestände nicht als solche über Fernleihe weitergegeben werden dürfen, sondern vorher ausgedruckt werden müssen. Es gilt also, die eigenen legitimen Interessen selbst in die Hand zu nehmen, sie gegen die Zumutungen neoliberaler Politik zu verteidigen und dabei neue eigene Handlungsspielräume zu finden. Es ist noch niemals dauerhaft gelungen, den Geist zu beschwören und zugleich den kritischen Geist zu bannen. Welche Macht in konstruktiv-kritischem Geist wohnt, hat nicht zuletzt die Open-Source Bewegung unter Beweis gestellt. Wirkliche Veränderung passiert nicht mit einer Demo, sondern durch selbstbewusstes, alle Möglichkeiten kreativ auslotendes Handeln im Alltag. Lasst uns dabei nicht nur eigene Handlungsspielräume finden, sondern diese auch mit denen Anderer vernetzen und so von unten her Neues aufbauen. Nicht zuletzt als Leipziger, die sich gegen Privatisierungen ganz anderer Art zur Wehr setzen.