Erschienen in:
"Der Osten im Übergang vom Industrie- zum Informationskapitalisums",
Heft 24 der "Texte zur politischen Bildung" der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V., 41-55.


Arbeit und Wissen in der modernen Gesellschaft
Zur Kritik eines engen Arbeitsbegriffs

Hans-Gert Gräbe, Leipzig, 18. August 1996

Einleitung

Man geht heute allgemein davon aus, daß wir uns mitten in einer technologischen Umwälzung befinden, die in ihren Auswirkungen, wenn überhaupt, nur mit der (ersten) industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts zu vergleichen ist. Wenn deren Effekt in der Potenzierung der menschlichen Muskelkraft lag, der mit der Ablösung der Manufaktur durch die Großindustrie auch vollkommen neue Formen der Produktionsorganisation mit sich brachte, so steht heute insbesondere mit der Anwendung der Mikroelektronik die Potenzierung der menschlichen Geisteskraft auf der Tagesordnung.

Diese neuen technischen Mittel schaffen die Basis dafür, materielle Produktionsprozesse in ganz neuen Größenordnungen geistig vorwegzunehmen und damit zu flexibilisieren als das bisher möglich war. Flexible Produktion erlaubt es dabei zunehmend, die Bedingungen für die Realisierung des geistig vorweggenommenen Produkts vorzuhalten statt das Produkt selbst und damit maßgeschneiderte Lösungen erst dann zu produzieren, wenn sie benötigt werden. Damit rückt das Ende der Massenproduktion und der damit verbundenen fordistischen Produktionsweise in greifbare Nähe.

In einem solchen Kontext spielt nicht die Arbeitskraft schlechthin, sondern die qualifizierte Arbeitskraft, deren Kompetenz, materielle Produkte und Effekte geistig vorwegzunehmen und diese dann bei Bedarf zu materialisieren, eine entscheidende Rolle. Es wird zunehmend

die Schöpfung des wirklichen Reichtums abhängig weniger von der Arbeitszeit und dem Quantum angewandter Arbeit als von der Macht der Agentien, die während der Arbeitszeit in Bewegung gesetzt werden und die selbst wieder [...] in keinem Verhältnis steht zur unmittelbaren Arbeitszeit, die ihre Produktion kostet, sondern vielmehr abhängt vom allgemeinen Stand der Wissenschaft und dem Fortschritt der Technologie. ([Grundrisse, S. 600])

Erwerb und Reproduktion von Kompetenz, die in allen bisherigen Gesellschaften außerhalb des geregelten materiellen Produktionsprozesses erfolgte, wird nunmehr zu einem Bereich des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses, auf den in naher Zukunft vielleicht schon der entscheidende Teil der gesellschaftlichen Ressourcen zu konzentrieren ist. Dieser Übergang zu einer stärker kompetenzorientierten Produktionsweise spielte unter dem Schlagwort von der wissenschaftlich-technischen Revolution schon in der Vergangenheit in Überlegungen zur Ausgestaltung eines Sozialismuskonzepts eine wichtige Rolle. Insbesondere im Zusammenhang mit der Entwicklung des Neuen Ökonomischen Systems und in Reflexion der ersten Kybernetikwelle in den sechziger Jahren entstand eine Reihe interessanter Gedanken auf einem in dieser Komplexität später wohl nicht wieder erreichten Niveau.

Im folgenden wird deshalb der Versuch unternommen, damals formulierte Konsequenzen einer sich mit urwüchsiger Gewalt durchsetzenden Tendenz der Anpassung der Produktionsorganisation an einen neuen Produktivkraftstand heute, 30 Jahre danach, erneut aus der Schublade zu holen und, um die Erfahrungen eines gescheiterten Generationsentwurfs reicher, auf Kontinuität und Modifikationsbedarf hin abklopfen.

Arbeit als gesellschaftliches Phänomen

Arbeit als

ein Prozeß zwischen Mensch und Natur, [...] worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigene Tat vermittelt, regelt und kontrolliert, ([Kapital, 192])

als Auseinandersetzung des Menschen mit der Natur, die Natur der menschlichen Gemeinschaft eingeschlossen, ist die zentrale Konstituente menschlichen Seins und Werdens. Die im Mittelpunkt unseres Interesses stehende Produktivkraftentwicklung kann neue Dimensionen dieses Wechselverhältnisses zwischen Mensch und Natur eröffnen, Dimensionen, die oft genug auch einschneidende Veränderungen in der Sozialisation mit sich bringen und stets eine Intensivierung der Interdependenzen zwischen Mensch und Natur statt deren Abschwächung zur Folge hatten, diese aber niemals beenden, ohne damit die physische Existenz der Menschheit als solcher zugleich in Frage zu stellen. In diesem Sinne ist ein ``Ende der Arbeitsgesellschaft'' nicht abzusehen, die ständige Diskussion darum jedoch ein Indiz, daß eben eine solche neue Dimension dieses Wechselverhältnisses zwischen Mensch und Natur ins Haus steht.

Die zitierte Sicht auf Arbeit impliziert die Existenz von wenigstens zwei interagierenden, aber doch grundlegend unterschiedlichen Komponenten menschlicher Arbeitstätigkeit: einer aktorischen und einer reflektorischen. Der Mensch tritt in diesem Arbeitsprozeß zugleich als Agent, als zielgerichtet Veränderungen induzierendes Subjekt, und als Rezipient auf, der die Folgen seiner eigenen und der Tätigkeit anderer beobachtet, analysiert und die daraus gewonnenen Erkenntnisse systematisiert. Die Analyse ist die Grundlage für die weitere Qualifizierung zukünftiger Aktionen, die ihrerseits neue Analysen auslösen usw.

Den Menschen als soziales Wesen zeichnet dabei zugleich die Fähigkeit aus, eigene Analyseergebnisse anderen Individuen verfügbar zu machen. Durch diese Sozialisation individueller Erfahrungen entsteht ein gesamtgesellschaftlicher Wissenspool, der in einem koordinierten, arbeitsteiligen Vorgehen verschiedener Individuen sein aktorisches Pendand findet. Die Reproduktion dieser für die menschliche Sozialisation als Ganzes entscheidenden Struktur erfolgt auf einem anderen räumlich-zeitlichen Abstraktionsarbeit als jede einzelne Individualarbeit. Wir wollen diese durch ihre Sozialisation gebrochene und koordinierte Summe individueller Arbeiten deshalb im folgenden als Gesamtarbeiter bezeichnen.

Im Ergebnis dieses beständig fortschreitenden Prozesses der Arbeitsteilung haben sich mittlerweile multifunktionale, in vielseitigen, vielschichtigen und autonomen Teilzusammenhängen sehr unterschiedlicher funktionaler Bedeutung zusammenwirkende Gesellschaftsstrukturen herausgebildet. Die Gesellschaft teilt sich dadurch in eine Vielzahl relativ unabhängiger Bereiche, die weitestgehend autonom agieren und eigenverantwortlich gesamtgesellschaftlich notwendige Reproduktionsleistungen vollbringen. Eingebettet sind diese relativ stabilen Strukturen in einen gesamtgesellschaftlichen Abstimmungprozeß, der Ressourcenallokation und Transferleistungen vermittelt. Im Spannungsfeld dieser Input-Output-Erwartungen findet die relative Autonomie der Teilstrukturen zugleich ihre Grenzen.

Arbeitsteilung und Kooperation dieser vielschichtigen, auch räumlich-zeitlich höchst unterschiedlich dimensionierter Prozesse und Strukturen sind für das Funktionieren des Gesamtwesens in seiner heutigen Ausprägung unentbehrlich. Insofern erscheint die Prognose in [Kreschnak, S. 7], daß mit dem Einsatz ``kybernetischer Maschinen'' der Mensch, der nicht mehr Hauptagent des Produktionsprozesses sei, auch nicht mehr genötigt sei, ``sich dem Zwang der Arbeitsteilung zu unterwerfen, durch den er zu einem Rädchen im Massengetriebe wird,'' direkt aberwitzig. Es ist vielmehr, historischer Erfahrung folgend, mit jedem Sprung in der Produktivkraftentwicklung eine weitere Ausprägung der Kompliziertheit dieses arbeitsteiligen Zusammenwirkens auf einem neuen Niveau zu erwarten.

Dies wird noch deutlicher, wenn man sich vergegenwärtigt, daß diese Strukturen und die von ihnen erzeugten Werkzeuge in ihrer Mehrzahl eine Vergegenständlichung von Reflexionen vergangener Arbeit sind. Eine solche Vergegenständlichung in neuen Produkten, Begriffen, Theorien usw. erlaubt es, diese Analyseleistung von gestern heute als einheitliches Ganzes, als Entitäten, in neue Analyse- und Reflexionsprozesse einzubringen, die wiederum morgen zu neuen Begrifflichkeiten und Produkten führen. Arbeit ist damit [PWB, S. 112] `` kein gleichbleibender, sich auf gleicher Ebene wiederholender Prozeß, sondern ein Entwicklungsprozeß zu immer höheren Formen. ''

Ein solch vielschichtiger Reflexionsprozeß, der aus vielen relativ autonomen Teilprozessen mit oft unterschiedlicher Prioritätensetzung besteht, ist durch starke Zielkonflikte geprägt. Das bedeutendste Konfliktfeld bildet der Streit um die für den individuellen Arbeitsprozeß notwendigen Ressourcen, welcher bereits in einer sehr frühen Phase der Arbeitsteilung zur Herausbildung von Privateigentum führte. Dort, wo sich aus diesen Eigentumsrechten Rechte auf Delegierung von Verfügungsgewalt über Ressourcen zu einem definierten Arbeitsprozeß (und die nachfolgende Aneignung des Ergebnisses durch den Eigentümer und nicht den Produzenten) ableiten lassen, beginnen Klassengesellschaften und der Entfremdungscharakter (eines Teils) der Arbeit. Heyden beschreibt diese Arbeitsbedingungen als solche,

in denen der arbeitende Mensch von den Produktionsmitteln durch Eigentumsschranken getrennt ist, er also nur mit Erlaubnis der Besitzenden arbeiten [...] kann, die Arbeit damit entfremdeten Charakter annimmt. ([PWB, S. 112])

Seine Schlußfolgerung, daß diese Form allerdings ``historisch vergänglich'' sei, ist aus heutiger Sicht, wenigstens den entfremdeten Charakter der Individualarbeit betreffend, wohl zu relativieren. Schließlich ist die Einordnung des Arbeitsvermögens des Individualarbeiters in einen umfassenderen Gesamtplan und die damit verbundene Fremdbestimmung eine Entäußerung des Konflikts zwischen dem Gesamtarbeiter und dem Individualarbeiter, der jede Arbeitsgesellschaft begleitet. Im Fall des Privateigentums geschieht dies als einfache Unterordnung unter einen fremden Willen, als Verkauf der eigenen Arbeitskraft an jemanden, der mit dieser auf Grund seiner gesellschaftlichen Stellung mehr anfangen kann. Aber auch eine nicht auf Privateigentum beruhende Gesellschaft benötigt Mechanismen für die Organisation koordinierten und arbeitsteiligen Zusammengehens im gesamtgesellschaftlichen Arbeitsprozeß und wird dabei um Formen fremdbestimmter Arbeit nicht herumkommen.

Mehr noch, die hohe Komplexität des heutigen und noch mehr des morgigen Arbeitsprozesses macht an vielen Stellen ein Zusammenwirken nach einem einheitlichen ``Plan'' dringender denn je erforderlich. Zweifellos sind dabei subtilere Abhängigkeitsverhältnisse als die rohe Kommandogewalt einer hierarchisch strukturierten Produktionsorganisation möglich und notwendig. Sicher werden solch neuartige, kreative Spielräume öffnende Abhängigkeitsverhältnisse den Charakter der Arbeit und auch deren Organisationsformen grundlegend verändern. Die damit verbundene Unterordnung des Individualarbeiters unter den Gesamtarbeiter, die soziale Determiniertheit der Inhalte von Individualarbeit, der Kern der Entfremdung der Arbeit, besteht aber fort. Selbst sehr erträgliche Arbeitsbedingungen mit einem hohen Grad an individuellen Entscheidungsspielräumen, wie sie in [Kreschnak, S. 20 ff.] als Folge des Übergangs zur Informationsgesellschaft prognostiziert, können diese Fremdbestimmung nur mystifizieren, aber nicht beseitigen.

Eine zentrale Rolle bei der Transformation gesamtgesellschaftlicher Erfordernisse in Individualarbeit spielt das Werte- und Bewertungssystem der jeweiligen Gesellschaft. Die im Kapitalismus dafür angelegte Stafette

Gesamtarbeiter -- Eigentümer -- Individualarbeiter

mit ihren Komponenten ``Markt'' und ``privatkapitalistische Aneignung'' hat entscheidende Defizite besonders in ihrem ersten Teil, in dem marktwirtschaftliche Mechanismen den Transmissionsriemen spielen sollen. Der Grund hierfür liegt in der herausgehobenen Stellung des Eigentümers, wodurch es außerordentlich schwierig wird, ihm gegenüber Fremdbestimmung durchzusetzen und damit andere als unmittelbar marktwirtschaftsadäquate räumlich-zeitliche Horizonte transparent werden zu lassen. Andererseits sind diese marktwirtschaftlichen Mechanismen, die sich im Laufe der Jahrhunderte ``so ergeben'' haben, gerade die vom Gesamtarbeiter selbst installierten Strukturen, die dem Eigentümer gegenüber Fremdbestimmung durchsetzen sollen. Diese Strukturen in neue, den gewachsenen räumlich-zeitlichen Dimensionen des Reproduktionsprozesses entsprechende zivilgesellschaftliche Strukturen einzubetten, ist die aktuelle Aufgabe, die der Gesamtarbeiter zu lösen hat, um die neue Dimension von Fremdbestimmung, die die gesamtgesellschaftliche Beherrschung des neuen Produktivkraftniveaus erfordert, zu vermitteln.

So wie sich marktwirtschaftliche Mechanismen auf die Regulierung eines Verhältnisses sehr bestimmter räumlich-zeitlicher Dimension beschränken und damit die Illusion der Freiheit des Eigentümers lassen, werden sich diese neuen Steuerungsinstrumente ebenfalls nur auf eine sehr indirekte Einflußnahme, ein Setzen (und Durchsetzen) von Rahmenbedingungen, beschränken. Die so weiter zu verlängernde Kette von Transmissionen entspricht der wachsenden Vielschichtigkeit des Gesamtarbeitsprozesses wesentlich besser als der Versuch einer Abkürzung dieser Kette auf die Transmission

Gesamtarbeiter = (Volks-)Eigentümer -- Individualarbeiter

in der ``realsozialistischen Lösung''. Dasselbe gilt für jede etatistisch-kapitalistische Lösung im Sinne von [Kurz], insbesondere für Lösungsauswege aus der ökologischen Krise, die den Weg in Richtung einer Ökodiktatur suchen.

Arbeit und Wissen

Die reflektierende Komponente bildet ein wichtiges Glied in der Kausalkette des Arbeitsprozesses. Bei der Betrachtung der Reproduktion dieser Komponente ist zwischen der für eine qualifizierte Zwecksetzung notwendigen Reproduktion von Individualerfahrung, der Kompetenz des Individualarbeiters, und der durch Sozialisation gebrochenen Summe heutiger und vergangener Individualerfahrungen und -analysen, der Kompetenz des Gesamtarbeiters, zu unterscheiden haben. Beide sind natürlich eng miteinander verzahnt, da die individuell gebrochene Erfahrung des Gemeinwesens auch ein wesentlicher Bestandteil der Kompetenz des Individualarbeiters ist. Wir haben es dabei mit einem ähnlichen Wechselspiel von Sozialisation und individueller Aneignung zu tun wie wir es von der materiellen Produktion her kennen. Um die Unterschiede zu letzterer herauszuarbeiten, wollen wir die sich durch Sozialisierung individueller Reflexionsleistungen reproduzierende gesellschaftliche Struktur, deren Bedeutung mit dem Einsatz von Werkzeugen zur Potenzierung der menschlichen Geisteskraft weiter zunehmen wird, im weiteren als Informationsraum bezeichnen.

Bis in die jüngste Vergangenheit hinein erfolgte die Reproduktion der Strukturen des Informationsraums vor allem über Einzelpersonen und deren Interaktion in außerökonomischen Strukturen unter den Fittichen der jeweils herrschenden Klasse und dem Einsatz eines Teils des von ihnen angeeigneten Mehrprodukts. Eine Kontrolle des Einsatzes dieser Mittel war dabei nur bedingt möglich, weil die Spezifik der betrachteten Sphäre eine Zweckbestimmung, eine ideelle Vorwegnahme des Arbeitsergebnisses, wie sie für den materiellen Produktionsprozeß charakteristisch ist, nur sehr beschränkt erlaubt. Entsprechend erfolgte die Ressourcenverteilung im Gegensatz zur aktorisch-produktiven Arbeitsleistung nicht über das Maß der (konkreten) Individualarbeit, sondern über das sich vor allem in gesellschaftlicher Reputation der ``gelehrte Personen'' ausdrückende Maß des Arbeitsvermögens. Dies ist nur zu verständlich, hat doch eine aktuelle Reflexionsleistung die Subsumierung vergangener solcher Reflexionsleistungen zur Voraussetzung, wozu nur ein enger dafür präpositionierter und präparierter Personenkreis überhaupt in der Lage war. Mit dieser Form der Bezahlung nach Kompetenz statt nach (mit einem Zeitmaß gemessener) Arbeitsleistung wurde für diesen Personenkreis zugleich in gewissem Umfang die Reproduktion individueller Reflexionsfähigkeit als gesellschaftlich relevante Arbeit anerkannt. Dies stand ganz im Gegensatz zur großen Masse der körperlich arbeitenden Individuen, für die eine solche Vorbereitung auf die Individualarbeit nicht notwendig war bzw. diese einen derart geringen Umfang ausmachte, daß sie in den Reproduktionsprozeß der Großfamilie ausgelagert werden konnte.

Der qualitative Unterschied in der Bewertung von körperlicher und geistiger Arbeit setzt sich in modifizierter Form bis heute fort: den in entsprechenden, zu großen Teilen staatlichen Institutionen zusammengefaßten Geistesarbeitern wird über ihr Gehalt und die Festlegung ihrer Arbeitsaufgaben die Reproduktion auch ihres Reflexionsvermögens alimentiert[1], während dies für den Muskelarbeiter, sofern es ihn in Reinkultur überhaupt noch gibt, ein selbst steuerlich nur beschränkt abziehbares Privatvergnügen darstellt. Zwei Veränderungen gibt es dennoch. Dies ist zum einen die Herausnahme von Teilen der Reproduktion des Reflexionsvermögens des Muskelarbeiters aus dem familiären Reproduktionsprozeß durch inzwischen generell staatlich alimentierte Grund- und partiell staatlich alimentierte Berufsbildung, die den immer komplexeren Bedingungen der modernen Produktion geschuldet ist. Zum anderen handelt es sich um die deutliche Tendenz, die oben beschriebene indirekte Alimentierung der Wissens- und Wissensträgerreproduktion zunehmend aus marktwirtschaftlichen Zusammenhängen herauszuhalten und dem Gemeinwesen zu übertragen. [2]

Die bisherige Enwticklung des Gesamtarbeiters hin zur Beherrschung immer komplexerer Zusammenhänge ist dadurch gekennzeichnet, daß ein steigender Anteil desselben mit Reflexionsleistungen beschäftigt ist, wobei eine ständige Verschiebung der relativen Gewichtung zwischen aktorisch-produktiven und reflektorischen Leistungen zugunsten letzterer zu verzeichnen ist. Es ergibt sich die Frage, ob der hier thematisierte Produktivkraftschub sogar dazu führt, daß erstmals im Laufe der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft die reflektorische Komponente des gesamtgesellschaftlichen Arbeitsprozesses über die aktorisch-produktive dominiert. Dies würde implizieren, daß der Mensch in entscheidenden Teilen neben den eigentlichen Prozeß der unmittelbaren materiellen Reproduktion seiner eigenen Lebensgrundlagen, den Produktionsprozeß im engeren Sinne, tritt und sich der Schwerpunkt seiner Arbeitstätigkeit auf eine (zudem immer mittelbarere) reflektierende Begleitung und Steuerung desselben verschiebt. Dabei kann es sich allerdings nicht um die Herrschaft der einen über die andere Komponente des Gesamtarbeiters handeln, da nur in deren Zusammenspiel die zu erbringende Reproduktionsleistung möglich wird. Aber selbst eine Verschiebung der Gewichte, des Zentrums des Gesamtarbeiters, in dessen reflektorische Komponente zwingt die Gesellschaft, über die Effektivität von Ressourcenallokation in diesem Bereich zu befinden statt ihn wie bisher einfach zu alimentieren.

Die Bewertung von Reflexionsleistungen und Information allgemein erweist sich allerdings als schwieriges Problem, da ihr Nutzen im Gegensatz zum Produktionsprozeß im engeren Sinne auch gesamtgesellschaftlich nicht apriori bekannt ist. Für den kapitalistischen Produktionsprozeß hat Karl Marx den werttransportierenden Mechanismus in den von ihm betrachteten Dimensionen sehr detailliert und schlüssig herauspräpariert. Für das an dieser Stelle vor allem wichtige Verhältnis von lebendiger und vergegenständlichter Arbeit wird ein rekursives Bewertungsverfahren beschrieben: Der in einer früheren Bewertung gefundene Wert der vergegenständlichten Arbeit wird durch den aktuellen Produktionsprozeß ganz (Arbeitsgegenstand, capital circulant) bzw. teilweise (Arbeitsmittel, capital fixe) auf das Produkt übertragen, welches dann, einschließlich der zu seiner Herstellung aufgewendeten lebendigen Arbeit, einer neuen Bewertung auf dem Markt unterzogen wird. Wert in diesem Sinne mißt vor allem die gesellschaftlich notwendige Arbeits zeit. Als Optimierungsmaß führt diese Art der Bewertung zum Gesetz von der Ökonomie der Zeit.

Eine solche Bewertung hat zum einen Prozeßcharakter und ist damit an wohlbestimmte zeitliche Dimensionen gebunden. Für eine kapitalvermittelte Wertbestimmung wird diese ganz wesentlich durch die Zirkulationszeit von Kapital bestimmt, die, indirekt proportional in die Profitrate eingehend, mit der durchschnittlichen Zirkulationszeit einen Risikohorizont für Investitionen schafft, der nur durch genaue Marktprognosen, also wiederum Reflexionsleistungen, aufgeweitet werden kann. Das Bestreben, jegliche menschliche Arbeitsleistung dem kapitalistischen Verwertungsprozeß zu unterwerfen, ist aus dieser Perspektive ebenso verständlich wie zum Scheitern verurteilt, sobald die zu bewertende Arbeitsleistung sich in anderen räumlich-zeitlichen Dimensionen bewegt.

Zum zweiten ist eine realistische Bewertung gesellschaftlich notwendiger Arbeit auf dem Markt nur in Anwesenheit einer genügenden Anzahl voneinander unabhängiger Anbieter möglich. Die mit der Monopolpreisbildung verbundene Möglichkeit der Eigenbewertung von Arbeit führt regelmäßig dazu, daß sich der Eigentümer über den Gesamtarbeiter stellt und dieser andere Mechanismen (zum Beispiel das Kartellrecht) einsetzen muß, um dem Eigentümer gegenüber seinen Bestimmungsanspruch durchzusetzen.

Und schließlich verlangt die marktwirtschaftliche Bewertung des geschaffenen Gebrauchswerts exklusive Verfügungsgewalt über das Produkt, um dessen Eingang als vergegenständlichter Wert in zukünftige Bewertungsverfahren zu ermöglichen. Einen solchen Übergang von an Eigentumsrechte gebundener Verfügungsgewalt kann man aber, wenigstens in seiner klassischen Form, wohl nur für materielle Produkte sichern. Dagegen kann es ein solches dingliches Eigentum an Wissen und allgemeiner Information nicht geben. Wissen hat in diesem Verständnis höchstens als an einen materiellen Gegenstand gebundenes ``nützliches Wissen'' die Chance bewertet zu werden und geht dann wie ein Arbeitsmittel in den Bewertungsprozeß ein. Genau wie das Maschinenprodukt mit jedem Exemplar ein Stück der (durchschnittlichen) Herstellungskosten der Maschine selbst davonträgt, tritt hier Wissen als ein Stück spezieller Produktivkraft auf. Für eine solche Einbeziehung muß man aber sichern, daß anderen dieselben durchschnittlichen Kosten für dasselbe Wissen entstehen: man muß die Taube auf dem eigenen Dachboden gefangenhalten, statt sie in die freie Welt fliegen zu lassen, und damit den Charakter des Wissens als allgemeine Produktivkraft, als gesamtgesellschaftliches Ereignis, vergewaltigen. Immanente Voraussetzung für die Einbeziehung von Wissen in eine marktwirtschaftliche Bewertung ist also die Kontrolle über dessen Weitergabe, sprich Duplikation, in den Händen des Erzeugers. Er muß mit allen Mitteln verhindern, daß in Ansatz zu bringendes Wissen Allgemeingut wird. Urheberrechte, Patente und Lizensierungsverfahren sind die Folge, die Freizügigkeit von Wissen als eine seiner Grundfunktionalitäten wesentlich einschränken und insbesondere dessen kommunikative Komponente deformieren.

Marx hat schon mit Blick auf die sich im Rahmen der (ersten) industriellen Revolution abzeichnenden Entwicklungen, wie die eingangs zitierte Textstelle verdeutlicht, die Bedeutung der strukturierenden Kraft, die die Macht der Agentien für den Produktionsprozeß (im engeren Sinne) zähmt, hervorgehoben. Für die Bewertung der vergegenständlichten Reflexionsleistung läßt sich bei ihm aber kein Verfahren finden. Die von ihm selbst unmittelbar vorher betrachteten Mechanismen eines capital fixe, die ja Arbeitszeitmaß sind, scheinen ihm jedenfalls nicht auszureichen:

In dieser Umwandlung ist es weder die unmittelbare Arbeit, die der Mensch selbst verrichtet, noch die Zeit, die er arbeitet, sondern die Aneignung seiner eignen allgemeinen Produktivkraft, sein Verständnis der Natur und die Beherrschung derselben durch sein Dasein als Gesellschaftskörper -- in einem Wort die Entwicklung des gesellschaftlichen Individuums, die als der große Grundpfeiler der Produktion und des Reichtums erscheint. ([Grundrisse, 601])

Als der entscheidende Grundpfeiler von Produktion (auch im weiteren Sinne) erscheint nunmehr das individuell gebrochen die reflexive Leistung des Gesamtarbeiters aufsaugende Arbeits vermögen des Individualarbeiters, allerdings eben nicht nur einer besonderen Spezies von Individualarbeitern, der ``gelehrten Personen'', sondern im Unterschied zur Vergangenheit generell. Diese Aufwertung der reflektorischen Komponente des Gesamtarbeiters zu dessen dominierender Komponente erfordert auch eine Neudefinition von Bewertungsverfahren, die in der Lage sind, die bei Marx offengebliebene Frage zu beantworten und und ein Maß für die Effektivität reflektorischer Leistung bereitzustellen, um darauf aufbauend auch in diesem Bereich den Ressourceneinsatz zu optimieren. Dabei wird sicher ebenfalls das Gesetz von der Ökonomie der Zeit durch ein allgemeineres zu ersetzen sein, das einen effektiv organisierten Produktionsprozeß im engeren Sinne in die Effektivierung des Produktionsprozesses im weiteren Sinne einzubetten vermag. Offen bleibt bisher, wie dieses neue, übergreifende Wirkprinzip denn nun aussehen mag.

Dies alles ist keineswegs die Vision einer kommunistischen Gesellschaft, sondern die Beschreibung, wie in einem gewissen Stadium der industriellen Revolution der bestimmende Teil des gesamtgesellschaftlichen Reproduktionsprozesses den räumlich-zeitlichen Rahmen des Produktionsprozesses im engeren Sinne sprengt. Gleichwohl gibt es viele Parallelen besonders zu den Vorstellungen über den Charakter der Arbeit im Sozialismus und Kommunismus. So formuliert Heyden:

Im Sozialismus und Kommunismus ist die Arbeit unmittelbar gesellschaftlich und nimmt in zunehmendem Maße wissenschaftlichen Charakter an, d.h. sie wandelt sich grundlegend, sie wird zur freien Arbeit freier Produzenten. ([PWB, S. 113])

Marx zitierend setzt er fort:

Die Arbeit der materiellen Produktion kann diesen Charakter nur erhalten dadurch, daß erstens ihr gesellschaftlicher Charakter gesetzt ist, zweitens, daß sie wissenschaftlichen Charakters, zugleich allgemeine Arbeit ist, nicht Anstrengung des Menschen als dressierte Naturkraft, sondern als Subjekt, das in dem Produktionsprozeß nicht in bloß natürlicher, urwüchsiger Form, sondern als alle Naturkräfte regelnde Tätigkeit erscheint. ([Grundrisse, 605])

Die Frage der Vergesellschaftung der Produktion einmal außer acht gelassen[3], stimmt dieses Bild so genau mit den von uns mit Blick auf die Potenzierung menschlicher Geisteskraft primär aus dem Studium der Produktivkraftentwicklung gezogenen Schlußfolgerungen überein, daß sich sofort die Frage erhebt, ob nicht die im gesamtgesellschaftlichen Rahmen strukturelle Bewältigung dieses Produktivkraftschubs der eigentliche Kern einer sozialistischen Vision sein muß. Dies zeigt, daß die prognostizierten Inhalte dieser Vision durchaus ihre Berechtigung haben, während die daraus abgeleiteten Formen wohl gründlich zu überdenken sind.

Robert Kurz wird hier noch deutlicher:

Die Menschheit ist damit konfrontiert, daß sie durch die selbstgeschaffenen Produktivkräfte hinter ihrem Rücken auf der inhaltlich-stofflichen und ``technischen'' Ebene kommunistisch vergesellschaftet wurde. Dieser objektive Zustand ist mit den konträren Subjektformen an der gesellschaftlichen Oberfläche unvereinbar. Der vermeintlich gescheiterte Kommunismus, mit dem die Zusammenbruchsgesellschaften nachholender Modernisierung verwechselt wurden, ist weder Utopie noch ein fernes, nie zu erreichendes Ziel weit jenseits der Realität, sondern er ist schon da, er ist das Allernächstliegende in der Wirklichkeit selbst, freilich in verkehrter negativer Form innerhalb der kapitalistischen Hülle des warenproduzierenden Weltsystems: nämlich als verkehrter Kommunismus der Sachen, als globale Vernetzung des Inhalts der menschlichen Reproduktion; gesteuert jedoch durch die blinde und tautologische Selbstbewegungsstruktur des Geldes, die keinerlei sinnlicher Bedürfnislogik folgen kann [...] ([Kurz, S. 289])

Die zweite industrielle Revolution

Betrachten wir abschließend, wie sich diese Entwicklungen im Rahmen des gegenwärtig ablaufenden technologischen Umbruchs, der zweiten industriellen Revolution[4], bemerkbar machen.

Wesentliches Kennzeichen dieses Umbruchs ist die Mikroelektronik und die Miniaturisierung technischer Artefakte, wodurch es nicht nur möglich wird, Informationen auf eine vollkommen neue Art und Weise zu erschließen, festzuhalten und zu verarbeiten, sondern vor allem menschliche Reflexionsleistungen einer neuen räumlich-zeitlichen Dimension in Theorien, Produkten, Strukturen etc. zu vergegenständlichen und damit für den Alltag zur Verfügung zu stellen.

Sinn dieser Vergegenständlichung von Reflexionsleistungen ist es, die aus der detaillierten Analyse in der Vergangenheit gewonnenen Erkenntnisse in komprimierter Form in den Informationsraum einzubringen und damit gesamtgesellschaftlich verfügbar zu machen, d.h. jedermann, auch dem, der gar nicht in der Lage ist, diese Analyse selbst vorzunehmen, zur erschließen. Allerdings muß der Nutzer wenigstens die Spezifikation des zu nutzenden Produkts begreifen (können). Er muß nicht nur wissen, wozu man das Produkt verwenden kann, sondern auch, wie dies zu geschehen hat, d.h. welche Mechanismen zu welchem Zweck in Gang zu setzen sind und welche Folgen dies hat. Erst vor diesem ebenfalls wachsenden gesamtgesellschaftlichen kommunikativen Hintergrund ist ein technologischer Durchbruch in eine neue Dimension möglich.

Kreschnak sieht in diesem Zusammenhang die Möglichkeiten zu optimistisch, wenn er schreibt:

Heute lassen sich Erkenntnisse und Mittel der modernen Logik und Mathematik so zum Modellieren von Entscheidungsprozessen und zur Entscheidungsvorbereitung mit Hilfe leistungsfähiger Computer nutzen, daß Menschen mit normaler Bildung und ohne sonderliche Spezialkenntnisse immer besser solche Mechanismen überblicken können [...] ([Kreschnak, S. 19])

Er erliegt hier dem gefährlichen Trugschluß, den gestrigen Reflexionsbedarf mit der Elle morgiger Technik zu messen. Gerade die Diskussion zur Technologiefolgenabschätzung streicht den ungeheuer gewachsenen Kompetenzbedarf auch außerhalb enger Fachkreise heraus, um qualifiziert Entscheidungen entsprechend ihrer Tragweite fällen zu können. Dieser Kompetenzbedarf ist mittlerweilen so groß, daß zunehmend einzelne Menschen gar nicht mehr in der Lage sind, diese aufzubringen und damit Sachentscheidungen entsprechenden Entscheidungs strukturen übertragen werden müssen. Der mit der ersten industriellen Revolution bereits sprunghaft gewachsene Allgemeinbildungsbedarf erfährt damit eine neue Dimension, auf die noch keine adäquate strukturelle Reaktion in Sicht ist.

Schließlich ändert sich auch das Berufsbild selbst klassischer ``einfacher'' Berufe grundlegend. Die Einbeziehung des aktorisch-produktiv tätigen ``Normalarbeiters'' in den modernen Produktionsprozeß hat heute die Aneignung vergangener Reflexionsleistungen in einem solchen Maße zur Voraussetzung, daß sich die Grenzen zwischen körperlicher und geistiger Arbeit zunehmend verwischen. Daß dieser neue, viel intensiver in einen stark enthierarchisierten Arbeitsprozeß einbezogene Arbeiter damit aufhört, [Kreschnak, S. 9] `` Agent im Produktionsprozeß zu sein '' und statt dessen neben ihn tritt und so `` Kopf und Hände freibekommt '', ist allerdings nur für den Produktionsprozeß im engeren Sinne zutreffend. Zugleich besteht ein zunehmender Druck auf den Arbeiter, zur Reproduktion seiner ``Vernutzungsqualität'' den freien Kopf mit Wissen vollzustopfen und sich so die reflektorische Leistung des Gesamtarbeiters stets von neuem anzueignen.

Da dies individuell sehr unterschiedlich geschieht, entsteht eine Vielzahl unterschiedlicher individueller Kompetenzen, die zu einer enorm wachsenden Individualisierung und Spezialisierung führt und die kommunikativen Aspekte der Gesellschaft weit mehr als bisher in den Vordergrund rückt. Die steigende Unvergleichbarkeit der Individualarbeiter entzieht einer objektiven marktwirtschaftlichen Bewertung von Aufwand-Nutzen-Verhältnissen zunehmend die Grundlage.

Der massive Einsatz neuer vergegenständlichter Reflexionsleistungen führt zugleich zu einer sprunghaften Effektivierung des Reproduktionsprozesses in seinen bisherigen Dimensionen. Dies bezieht sich sowohl auf den Prozeß der materiellen Produktion selbst als auch auf seine Organisationsformen, wo mit ``lean production'', ``outsourcing'' und ``just in time'' versucht wird, materielle durch organisatorische Reserven zu ersetzen und zu externalisieren. Dieser Entwicklung liegt das von Marx beschriebene tendentielle Sinken der Profitrate zu Grunde. Und darin ist auch die Hauptursache für die ständig steigende Massenarbeitslosigkeit zu sehen: der mit der fordistischen Massenproduktion versuchte Ausgleich der tendentiell sinkenden Profitrate durch ein steigendes Produktionsvolumen hat ein Sättigungsniveau erreicht, das zu überschreiten sowohl aus ökologischer als auch innerkapitalistischer Räson nicht möglich sein wird.

Wir sind damit in der Tat am Ende der klassischen, marktwirtschaftlich regelbare räumlich-zeitliche Zusammenhänge erfassenden Arbeitsgesellschaft angekommen. Aber weder im Sinne ihrer Apologeten noch ihrer Fundamentalkritiker. Gegenstand der umfassenderen Reflexionsprozesse, auf deren Bewältigung gesamtgesellschaftlich Ressourcen in Größenordnungen konzentriert werden müssen, sind u.a. auch Fragen der weiteren Effektivierung des marktwirtschaftlich strukturierten Teils des materiellen Reproduktionsprozesses, der damit nicht abzuschaffen, sondern in umfassendere, zivilgesellschaftliche Strukturen einzubetten ist.

Robert Kurz beendet seine Analyse mit der Prognose des unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruchs der warenproduzierenden Gesellschaft auch in den Metropolen der ersten Welt. Es erhebt sich aber die Frage, ob nach dem (unter privatkapitalistischen Verhältnissen) endgültigen Scheitern der nachholenden Modernisierung in der Zweiten und Dritten Welt nicht die Weiterentwicklung menschlicher Sozialisationsstrukturen auf der Basis des in den führenden Industrienationen erreichten Produktivkraftniveaus als Initialzündung auch für den Rest der Welt als nunmehr einzig denkbare Grundlage für eine Bewältigung dieses sich mittlerweile zur Megakrise entwickelnden Umbruchs bleibt. Einer Bewältigung nicht primär als Zerbrechen der warenproduzierenden Grundlagen dieser Gesellschaft wie bei KURZ, sondern eher in Form des Schmetterlings, der seinen eigenen Kokon sprengt, damit alles vorherige positiv aufhebend. Eine solche Lösung würde jedenfalls der Logik unserer Ausführungen mehr entsprechen.

Wenn es denn wirklich so sein sollte, daß dies die einzige und letzte Chance ist, aus der Megakrise der menschlichen Vergesellschaftung herauszukommen, dann hat die Linke des Westens hier eine sehr spezifische Aufgabe zu erfüllen, die weit über die aktuell dominierenden Kämpfe zur Besitzstandswahrung hinausreicht.

Literatur

DHH
C. Davidson, I. Handler, J. Harris: Verheißung und Gefahr der dritten Welle -- Sozialismus und Demokratie im 21. Jahrhundert. Übersetzung in: Schriftenreihe der PDS-Fraktion im sächsischen Landtag 1/1995.

Kreschnak
H. Kreschnak: Sachsen und der Übergang vom Industrie- zum Informationskaptalismus. Schriftenreihe der PDS-Fraktion im sächsischen Landtag 4/1995.

Kurz
R. Kurz: Der Kollaps der Modernisierung. Eichborn Verlag, Frankfurt/M. 1991. Zitiert nach der Ausgabe Reclam, Leipzig 1994.

Kapital
K. Marx: Das Kapital. Band 1. MEW Bd. 23.

Grundrisse
K. Marx: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie. MEW Bd. 42.

PWB
Philosophisches Wörterbuch (Hrg. Georg Klaus, Manfred Buhr). 10., neubearbeitete und erweiterte Auflage, Bibliographisches Institut Leipzig, 1974.


Fußnoten

[1] Wobei selbst das dabei angewandte Tarif- bzw. Besoldungsrecht sich an dem (unterstellten) Arbeitsvermögen und nicht der Arbeitsleistung orientiert.

[2] Besonders eindrucksvoll wird dies durch den fast vollständigen Zusammenbruch der ostdeutschen Industrieforschung demonstriert.

[3] Es ist allerdings fraglich, ob ``gesellschaftlicher Charakter'' (wohl außerdem von Arbeit) automatisch Vergesellschaftung der Produktionsmittel im klassischen Sinne bedeutet oder nicht vielmehr nur auf den räumlich-zeitlichen Rahmen abzielt, in dem sich dabei Produktion als Prozeß abspielt.

[4] Im Rahmen der Diskussion um die Informationsgesellschaft ist dies allerdings bereits die ``dritte Welle'', denn sie wird in eine Reihe gestellt mit der landwirtschaftlichen Revolution, da der Übergang zu Ackerbau und Viehzucht ebenfalls einen ungeheuren Produktivkraftzuwachs mit sich gebracht hatte. Es gibt begründete Anzeichen, daß im Hinblick auf die Tiefe des Einschnitts in gesellschaftliche Strukturen die zweite industrielle Revolution in der Tat eher mit dieser als der ersten industriellen Revolution auf eine Stufe zu stellen ist, vgl. [DHH].