(c) H.-G. Gräbe, 12/2000 Quelle: http://www.hg-graebe.de/MTB/00-12-16.txt ================================================================ Erschienen in Disput 01'2001 Mensch, Technik, Bildung im Informationszeitalter Unter diesem Titel steht eine Veranstaltungsreihe der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, die sich mit sozialkritischen Fragen der Gestaltung der Informationsgesellschaft auseinandersetzt. Neben der Selbstverständigung wollen wir damit auch einen Beitrag für die programmatische Debatte der PDS leisten, für die Lothar Bisky im August 1996 feststellte: "Die Dynamik der Informations- und Kommunikationsindustrie aber haben wir politisch und programmatisch bislang nur unzureichend im Griff. Auch das vorliegende Buch weist in diesem Bereich seine bedauerlichsten Lücken auf." (Vorwort zum Sammelband "Zur Programmatik der PDS. Ein Kommentar". Dietz Verlag Berlin, 1997). Seitdem ist trotz Mehrheits- und Minderheitsthesen wenig Substanz hinzugekommen. Dies ist aus mehreren Gründen bedauerlich: 1. Die Umbrüche unserer Zeit hängen ganz wesentlich mit der wachsenden Bedeutung von Wissen, Bildung und Kompetenz - kurz, mit der wachsenden Rolle "allgemeiner Arbeit" - zusammen. Ein besseres Verständnis dieser Prozesse muss sich deshalb zentral in der Programmatik der PDS niederschlagen, wenn sich letztere nicht gar um ein solches Verständnis herum entwickeln muss. 2. Die DDR ist nicht zuletzt an den unbewältigten strukturellen Erfordernissen dieser technologischen Wende zu Grunde gegangen, obwohl in der DDR der allgemeinen Bildung ein deutlich größerer Stellenwert zugemessen wurde als in dieser Bundesrepublik. 3. Unter den Wählerinnen und Wählern der PDS besonders auch in den alten Bundesländern sind Personen aus dem Informations- und Bildungsbereich überproportional vertreten. Als Auftakt unserer Veranstaltungsreihe fand am 30. September 2000 in Leipzig ein Kolloquium "Bildungsanforderungen im 21. Jahrhundert" mit Beiträgen von Dr. Hans-Gert Gräbe (Leipzig), Prof. Hubert Laitko (Berlin), Prof. Hansgünther Meyer (Berlin) und Prof. Karl-Friedrich Wessel (Berlin) statt. Im Vorfeld des Kolloquiums entstanden Thesen, die in der Diskussion breite Bestätigung fanden. Sie werden zusammen mit anderen Materialien des Kolloquiums in einem Band im Dietz-Verlag erscheinen. Ausgewählte Beiträge werden außerdem in "Utopie kreativ" publiziert. Weitere Veranstaltungen im Herbst 2000 standen unter den Überschriften "Die bunte Welt des Internet" (25.10.), "Wissenschaft zwischen Freizügigkeit und Kommerz" (15.11.) und "Ist Software patentierbar?" (13.12.) Die erste Veranstaltung widmete sich den "Mythen und Fetischen des Computerzeitalters", die der bekannte Linzer Software-Experte Prof. Peter Rechenberg in einem Beitrag für die Zeitschrift LOG IN (Heft 2/99, S. 28 - 33) ausgemacht hatte. Seine kritischen Positionen zu einigen weitgehend unhinterfragten sozialen Erwartungshaltungen, die diesen neuen Technologien öffentlich entgegen gebracht werden, wurden dabei bestätigt und weiter untersetzt. Dies gilt besonders für Rechenbergs Kritik an der Losung "Computer in die Schule" in ihrer derzeitigen technik-fixierten Ausprägung. Es reicht in der Tat nicht, Schulen mit Computern auszustatten, ohne sich Gedanken über deren pädagogisch sinnvollen Einsatz zu machen und dafür dann auch die notwendigen Bedingungen zu schaffen und Ressourcen bereit zu stellen. Diese Frage, ein Teilaspekt der allgemeinen Bildungsmisere, spielt in der politischen Auseinandersetzung um Bildungsthemen gleichwohl so gut wie keine Rolle. Allerdings schlossen sich die Teilnehmer der Veranstaltung Rechenbergs fundamentaler Position, dann Computer ganz aus der Schule zu verbannen, nicht an. Es steht nicht mehr die Frage, ob Computer in den Schulalltag Einzug halten, sondern wie. Freizügiger Zugang zu wissenschaftlichem Gedankenguts ist eine der Grundsäulen, auf denen unser heutiges Wissenschaftssystem aufbaut. Es ist selbstverständlich, ohne irgend welche Gebühren die Ergebnisse anderer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu zitieren, ihre Gedanken aufzunehmen, mit eigenen Überlegungen anzureichern und derartiges Wissen zu denselben Konditionen weiter zu geben. Wissenschaft in diesem Verständnis verhält sich wie eine Familie, die arbeitsteilig und gemeinsam an einem großen "Kuchen" arbeitet, den man - mit großen Worten - als "Wissenspool der Menschheit" bezeichnen kann. Wie stark wird der Anspruch auf freizügigen Zugang zu diesen Schätzen der Menschheit durch die Forderung nach Durchsetzung marktwirtschaftlicher Prinzipien auch im Wissenschaftsbetrieb gefährdet? Diese Frage stand im Mittelpunkt der zweiten Veranstaltung am 15.11.2000. Eingangs erläuterte der Referent, Dr. Hans-Gert Gräbe, Privatdozent am Institut für Informatik der Leipziger Universität, welchen Zwängen "zwischen Freizügigkeit und Kommerz" Wissenschaft heute ausgesetzt ist. Es wurde deutlich, dass eine solche Freizügigkeit Schaden nimmt, wenn mit Patenten und Lizenzen zugleich Mauern errichtet werden, hinter denen entscheidende Teile von Wissen den neugierigen Blicken Außenstehender verborgen bleiben. Kontrovers wurde diskutiert, ob Patente und Lizenzen die Errichtung derartiger Mauern erfordern und wie weit Wissen in der Lage ist, von selbst solche Mauern niederzureißen. Schließlich ist es, im Zeitalter von Kopiergeräten und Computern, für viele eine Selbstverständlichkeit, sich nicht so eng an Copyrightregeln zu halten. Jedenfalls konstatierte der GI-Arbeitskreis "Software-Schutz" im Jahre 1992 mit Blick darauf, dass "in Deutschland mehr als doppelt soviel Computer (Hardware) verkauft wurden wie Programme" das Fehlen eines "entwickelten Rechtsbewußtseins für den Umgang mit Software". In Zeiten defizitärer Haushalte und zu geringer Ausgaben für Wissenschaft und Bildung wird die Debatte um Freizügigkeit und Kommerz deutlich schärfer. So gibt es inzwischen nicht nur Patente auf technische Erfindungen, sondern auch auf Entdeckungen, etwa im Bereich der Genetik. Die EU führt die Diskussion um die Möglichkeit der Patentierung von Software, die bisher höchstens als ganzes Produkt einer Lizenz unterstellt werden kann. Die Begehrlichkeiten, auf diese Weise fehlende Finanzmittel auszugleichen, sind groß. Andererseits gibt es mit GNU, LINUX und offener Software im Softwarebereich zunehmend erfolgreiche Entwicklungen, die Freizügigkeit als hohes Gut betrachten und diese nicht dem Kommerz opfern wollen. Dieser Tenor bestimmte auch die weitere Diskussion auf der Veranstaltung, die noch viele andere Gründe für die Notwendigkeit auflistete, warum der freizügige Zugang zu wissenschaftlichem Gedankengut als hohes kulturelles Gut unseres Gemeinwesens unbedingt verteidigt werden muss. "Ist Software patentierbar?" Mit dieser Frage hatte sich unlängst die Europäische Patentbehörde zum wiederholten Male beschäftigt und ihre Position, dies nicht zuzulassen, bekräftigt. Damit steht sie im Gegensatz zu US-amerikanischen Gepflogenheiten und widerstand dem zunehmenden Druck europäischer Wirtschaftskreise, eine solche Möglichkeit auch in Europa einzuführen. Grund genug für Spiegel-online (5. Dezember 2000), mit Richard Stallman den Gründervater der Free Software Foundation, einen vehementen Streiter gegen Software-Patente, zum Interview zu bitten. Grund genug auch für uns, dieses Thema am 13.12. auf die Tagesordnung zu setzen, nachdem der avisierte Referent, Dr. Michael Paetau, der zum Thema "Wissen, Information und nachhaltige Entwicklung" vortragen wollte, krankheitsbedingt kurzfristig abgesagt hatte. In der Diskussion wurde die Zweischneidigkeit von Softwarepatenten noch einmal deutlich. Einerseits sind sie Ausdruck des Anspruchs von am Markt operierenden Software-Unternehmen, die eigenen Aufwendungen ersetzt zu bekommen und mit besonders originellen Ideen Extraprofite zu erzielen. Andererseits besteht eine Eigenart immaterieller Güter darin, sich einem solchen Verwertungsanspruch zu entziehen, denn Gedanken und Ideen lassen sich nicht so einfach einsperren und wegschließen. Die Originalität eines Gedanken wird erst sichtbar, wenn er anderen mitgeteilt wird, womit seine Exklusivität schon verloren gegangen ist. Die Zäune, die Patente um solche Gedanken errichten, verhindern zugleich den natürlichen Umgang mit diesem Ideengut anderer. R. Stallman schreibt dazu: "Softwarepatente behindern das Schreiben von Programmen. Das ist, als wolle man ein Patentsystem für musikalische Ideen einführen. Ein melodisches Motiv hätte patentiert werden können, oder die Idee, vier Instrumente gleichzeitig spielen zu lassen. Überlegen Sie einmal, was das für jemanden bedeutet, der eine Symphonie schreiben möchte - er muss sich jederzeit fragen, ob seine Entscheidungen zu einem Gerichtsverfahren führen. Selbst wenn er weiß, welche Idee patentiert ist und wie er vermeiden kann, sie zu nutzen, macht es das Komponieren natürlich komplizierter. Irgendwann würde es schwieriger, eine Symphonie zu schreiben, wegen der man nicht verklagt würde, als eine, die man sich gern anhört. Jede Symphonie nutzt Ideen, die Menschen vorher schon gehört haben, selbst wenn es eine neue Symphonie ist. Was soll man machen, wenn einen alles, was man tut, in einen Rechtsstreit verwickeln kann? Man hört damit auf. Beethoven hätte sich einen anderen Job suchen müssen." Die grundsätzliche Bedeutung, die dem Prinzip der 'Freizügigkeit von Wissen' für das Funktionieren von Wissenschaft und Technik im heutigen Verständnis und damit für die Tragfähigkeit der Fundamente einer zukünftigen Wissens- und Kompetenzgesellschaft zukommt, kristallisiert sich immer deutlicher heraus. Es gibt keine einfachen Antworten, die das Freizügigkeitsprinzip und ökonomische Interessen in Einklang bringen. Die am weitesten führenden Ansätze weisen auf Einrichtungen öffentlichen Rechts wie Institute, Hochschulen oder wissenschaftliche Gesellschaften als Träger von Eigentumstiteln an diesen Formen von Gemeineigentum, die zugleich als (auch technischer) Garant der freien Verfügbarkeit dieses Wissens und als Clearingstelle für den Rückfluss der aus der ökonomischen Verwertung dieser Ideen resultierenden Mittel auftreten. Mit der geplanten Novellierung des sogenannten "Hochschullehrerprivilegs" im Arbeitnehmer-Erfindungsgesetz, das die Rolle der Universitäten in der patentrechtlichen Verwertung von Ideen stärken soll, die von ihren (mit öffentlichen Mitteln unterstützten) Angehörigen geboren wurden, geht die Bundesregierung einen Schritt in diese Richtung, vgl. "Süddeutsche Zeitung" vom 7.11.2000. Diese Fragen werden auch in anderen linken Zusammenhängen intensiv diskutiert. Aus unserer Sicht gilt es dabei besonders die vielfältigen Überlegungen und Reflexionen aus dem Umfeld der Open-Source-Bewegung für die programmatische Diskussion zu erschließen. Dieses Ziel hat sich auch das Oekonux-Projekt (www.oekonux.de) gestellt, das die Übertragbarkeit von Prinzipien der Entwicklung von Linux auf andere ökonomische Bereiche untersucht. Am 27.-29.4.2001 wird eine erste große Oekonux-Konferenz in Dortmund stattfinden. Mögliche Schritte in Richtung einer solchen "GPL-Gesellschaft" (GPL = Gnu Public License, die zentrale Lizenzform der Open-Source-Bewegung zur dauerhaften Sicherung von Freizügigkeit und Offenheit der Quellen von Programmen) stehen auch am 3.2.2001 auf dem Programm unserer Veranstaltungsreihe. Als Vortragende haben wir mit Stefan Merten (Kaiserslautern, "Freie Software für eine Freie Gesellschaft") und Wolf Goehring (Bonn, "Kommunikation statt Markt") zwei aktive Oekonux-Mitstreiter gewonnen. Neben theoretischen Überlegungen werden in diesem Diskurs auch die technischen Möglichkeiten von Computer und Internet intensiv genutzt und ausgebaut. So wurden im Rahmen des OpenTheory-Projekts (http://www.opentheory.org) die technischen Voraussetzungen geschaffen, gemeinsam im Netz an Texten zu arbeiten, die unter der GFDL (Gnu Free Document License) ähnlich freizügig zur Verfügung stehen wie GPL-Programme. Einzelne Texte aus unserer Veranstaltungsreihe stehen dort ebenfalls zur Diskussion. [... aktuelle Informationen ... ] Rückfragen richten Sie bitte auch an Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V. Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Tel. 0341-9608531 email: RosaLuxemburg-Stiftung.Sachsen@t-online.de 16.12.2000 Hans-Gert Gräbe