Einführung zum Podium "Geistiges Eigentum" ========================================= Hans-Gert Gräbe, Leipzig Mit dem Thema unserer ersten Podiumsdiskussion schneiden wir ein ganz heißes Eisen auch gegenwärtiger politischer Auseinandersetzungen an, um welche es im Gegensatz zu Hartz IV medial aber auffallend ruhig ist. So ruhig, dass bis "unten" nur durchsickert, dass es ein paar globale Institutionen und internationale oder auch nur amerikanische Normen gibt mit wenig aussagekräftigen Abkürzungen wie WIPO (world intellectual property organization), RIAA (Recording Industry Association of America), IPR, DMCA, Technologien wie Trusted Computing, die sich vehement für die Umsetzung von Rechtsnormen in nationales Recht einsetzen, die digitale Eigentumsrechte kodifizieren. Es sei ein großer Fortschritt, solche in anderen Bereichen bewährte Rechtskonstrukte zu übernehmen, ja quasi ein Naturzustand, der auf diese Weise - endlich - auch in diesem Gebiet eingeführt wird. Und überhaupt steht vor einem einzelnen Land gar nicht die Entscheidung, einführen oder nicht, denn wer nicht mitmacht - so heißt es - ist früher oder später out. Und gegen ganz Renitente wird auch schon mal eine juristische Drohkulisse aufgebaut wie etwa durch die RIAA gegen Nutzer von P2P-Netzen, die in den USA inzwischen flächendeckend mit kostspieliger gerichtlicher Verfolgung zu rechnen haben. Wenn die veröffentlichte zugleich die öffentliche Meinung ist, dann ist in Deutschland davon wenig zu spüren, denn die entsprechenden Gesetzgebungsverfahren - etwa die Urheberrechtsnovelle oder die Neufassung des Patentgesetzes - gehen weitgehend geräuschlos über die Bühne und auch die Auseinandersetzungen um Softwarepatente zwischen Europaparlament und Europarat sind in der Öffentlichkeit kaum wahrzunehmen. Auch in der klassischen deutschen Linken regt sich zu dem Thema wenig, obwohl im Rahmen der Einführung geistigen Eigentums die letzten Bastionen von Gemeineigentum geschleift zu werden drohen. Wenn Gemeineigentum so wichtig ist, dann könnte man sich an dieser Stelle schützend vor noch bestehendes stellen statt an anderer Stelle die Rücknahme von Privatisierung zu fordern. Auf diesen Verteidigungslinien stehen heute andere: neben in vielfältigen Bündnissen wie EFF, FSF, FSFE, attac, CCC organisierten Bürgern inzwischen auch die großen Wissenschaftsorganisationen, DHV, Hochschulrektorenkonferenz, DFG usw. So formuliert die "Göttinger Erklärung" vom November 2004 die große Sorgen über die Konsequenzen der geplanten Urheberrechtsnovelle für das Funktionieren von Bildung und Wissenschaft. Sie stammt von einem sich selbst als "Urheberrechtsbündnis" bezeichnenden Zusammenschluss, in dem neben vielen einzelnen Wissenschaftlern auch die großen Wissenschaftsorganisationen HRK und Wissenschaftsrat sowie die großen deutschen Forschungsgesellschaften Fraunhofer, Helmholtz, DFG, MPG aktiv sind. Die Sorge wird durch eine Vielzahl praktischer Fallbeispiele untermauert und in der aktuellen Stellungnahme der großen Wissenschaftsorganisationen vom 28.4.2005 "Verbesserungen bei der Urheberrechtsnovelle notwendig" mit dem Untertitel "Allianz fordert wissenschaftsfreundliche Gestaltung der Nutzungsprivilegien" erneuert. Widerstand gegen die Art der Umsetzung der Konzepte zur Etablierung "geistigen Eigentums" regt sich also vor allem in den Kreisen derer, die täglich mit Wissenschaft zu tun haben - ein Grund, mit diesen Argumenten besonders sorgsam umzugehen. Nach einem solchen kurzen "Ritt ums Schlachtfeld" möchte ich in meinen weiteren einführenden Bemerkungen versuchen, die Substanz der verschiedenen Argumentationen zu umreißen, dabei Akteure und deren Positionen grob zu markieren und in diesem Zusammenhang auch gleich die Disputanten dieser Runde vorstellen. Und ich hoffe, dass sich dabei genügend Anknüpfungspunkte ergeben, auf die wir uns in der anschließenden Diskussion beziehen können. Der Begriff des "Eigentums", der im Titel des Podiums gleich an drei Stellen vorkommt, ist zentral für das Funktionieren unserer Gesellschaft und sein Schutz hat sogar Verfassungsrang. Um so erstaunter war ich erfahren zu müssen, dass das BGB den Begriff zwar an vielen Stellen verwendet, aber selbst nicht mit einer konsistenten Definition aufwartet, also eine rechtsnormative Abgrenzung des Eigentumsbegriffs schwierig ist. Nun, für schwierige verfassungsrechtliche Fragen ist in Deutschland das Bundesverfassungsgericht zuständig, welches die allgemeine Rechtsauffassung an Hand konkreter Fälle allgemeiner Bedeutung absteckt. Die entsprechenden Entscheidungen sind aber wohl selbst auch widersprüchlich und unter Rechtstheoretikern umstritten. Also ein rundum schwieriges Terrain. Sehen wir deshalb zunächst auf materielles Eigentum, wo alles noch recht "harmlos" ausschaut. Bereits hier ist es möglich, Eigentum gar nicht selbst zu nutzen, sondern anderen - etwa in einem Mietverhältnis - zu überlassen, weshalb genau zwischen Eigentum und Besitz zu unterscheiden ist. Ein großer Teil unserer gesellschaftlichen Dynamik hat ihren Ursprung in der praktischen Differenz zwischen diesen beiden Kategorien. Es ist die Überlassung von Nutzungsrechten an materiellen Gütern an andere, die in einem gesellschaftsrelevanten Sinne damit mehr anfangen können als der Eigentümer. Jedenfalls behaupten sie das. Wirklich wissen werden wir es erst, wenn wir sie gewähren lassen. Aber was ist, wenn es schief geht? Mit einem einfachen "sorry, war halt nur so eine Idee von mir" ist es nicht getan. Die Behauptung, etwas effizient tun zu können, muss mit Verantwortung beladen werden, ehe sie zur Realisierung gelangt. Diese Verantwortung muss der neue Besitzer gegenüber dem Eigentümer verbindlich erklären - und so kommt auch noch das Vertragsrecht, vor allem das Schuldvertragsrecht, hinzu. Also nicht "Eigentum verpflichtet", sondern "Besitz verpflichtet"? An dieser Stelle wird bereits deutlich - noch bevor ein einziges Wort über Geld gesprochen ist -, dass dieses Eigentümer-Besitzer-Verhältnis mit wenigstens drei Funktionen überladen ist: Neben (1) dem privaten Verhältnis über die Nutzung einer Sache, die nicht in meinem Eigentum steht, ist es (2) das vertrags-öffentliche Versprechen, etwas Nützliches effizient zu tun, wobei dieses Effizienz-Nutzen-Verhältnis zunächst nur in meiner Vorstellung existiert und sich im Akt der Realisierung bewähren muss, und (3) die wettbewerbs-öffentliche Zuordnung der zur Realisierung meines Versprechens erforderlichen Ressource(n), im Falle einer Mietsache - wie hier betrachtet - vor allem als Arbeitsmittel. Nun kann ich die produzierten Einheiten - die neben den verbrauchten Ressourcen auch noch meine Idee beinhalten - (hoffentlich) verkaufen, alle am Vertrag beteiligten Parteien auszahlen und so den Vertrag zu einem regulären Ende bringen. Ich bin ein doppelter Ehrenmann (ich wäre auch einer geblieben, wenn ich den Vertrag vergeigt, aber die dann fällige Vertragsstrafe gezahlt hätte), denn ich habe unter Beweis gestellt, dass meine Versprechen etwas wert sind, dass ohne mich die Welt weniger effizient laufen würde - und für diesen Teil meiner unternehmerischen Tätigkeit bleibt auch für mich noch etwas Geld übrig - bei Marx etwas verkürzt als Profit bezeichnet. Der dritte Punkt - wettbewerbs-öffentliche Zuordnung von Ressourcen - ist der Flaschenhals, denn Verbrauch materieller Ressourcen kann nur in einem exklusiven Zugriffsmodus erfolgen. In dieser Gesellschaft ist dieser dritte Punkt auch der zentrale, denn Vertragsfreiheit besagt, dass ich alles versprechen kann, wenn es mir nur gelingt, die erforderlichen Ressourcen zugeordnet zu bekommen. Der Sinn meines Tuns wird - von weit gezogenen gesetzlichen und ethischen Grenzen sowie dem wettbewerblichen Rahmen abgesehen - vorab nicht befragt, sondern erst nach meinem vertraglich sanktionierten Tun. "Who can, does; who can't, teaches" - der öffentliche Gebrauch der Vernunft im Kantschen Sinne zum Raisonnieren ist dabei nicht vorgesehen. Im Gegenteil, es wird als Schwadronieren denunziert, denn ich könnte ja dabei Ideen ausplaudern, die sich noch gut in klingende Münze verwandeln lassen. Dieser Ansatz soll nun in den Bereich des Immateriellen übertragen werden, um auch dort, in der Welt der "geistigen Güter", für mehr Effizienz zu sorgen. Dazu gilt es zunächst, die entsprechenden Begriffe in diesen neuen Bereich zu übertragen. Phänomenologisch interessant ist zunächst, dass dabei viel von "geistigem Eigentum", aber wenig bis gar nicht von "geistigem Besitz" gesprochen wird. Das ist verständlich, da Besitz im materiellen Bereich ja vor allem den Ressourcenzugriff sichern soll, dem Exklusivität inhärent ist. Das gilt für Ideen nicht mehr, im Gegenteil. Gesellschaftlich effizient ist es gerade, gute Ideen möglichst oft zu verwirklichen. Und einen zweiten Unterschied gibt es: Ein Buch muss ich nicht nur besitzen, ich muss es auch lesen. Das Beschaffen des Buches kann in ein Vertragsverhältnis bisherigen Kalibers eingebunden werden, das Aneignen seines Inhalts nicht. Bemühungen zur Ausdehnung des Eigentumsbegriffs in den immateriellen Bereich sind also mit einer Reihe von Schwierigkeiten konfrontiert und überhaupt auch sehr jungen Datums, maximal 100 bis 200 Jahre alt. Entsprechende Verträge haben immer den Charakter von Gestattungsrechten. Wirklich harte Eigentumsrechte waren historisch zunächst vor allem mit dem vor etwa 100 Jahren entstandenen Begriff des (technischen) Patents verbunden. Sie sollten die Refinanzierung des oft nicht unerheblichen Aufwand zur Generierung der in einem technischen Artefakt enthaltenen Idee sichern. Während sich die Refinanzierung der materiellen Ressourcen über Besitztitel auf Grund der inhärenten Exklusivität einfach gestaltet, ist das bei Ideen sehr schwierig. Es ist nicht nur die fehlende Exklusivität, sondern darüber hinaus der extrem flüchtige, weil öffentliche Charakter jeder Idee. Sie entsteht nicht voraussetzungslos, sondern ist Teil eines öffentlichen Diskurses, der seinerseits eingebettet ist in eine kausal und historisch tief gestaffelte Sammlung von Anwendungs-, Begründungs-, Hintergrund- und Querschnittswissen, deren öffentlicher Charakter die Basis für Menschsein überhaupt ist. Wir lernen es aus Büchern, in der Schule und Universität und können uns mit anderen Menschen nur deshalb kultiviert verständigen, weil unsere gemeinsamen Erfahrungen in einen solchen freizügig zugängigen kulturellen Kontext eingebettet sind. Eine Idee aus diesem Substrat herausreißen zu wollen bedeutet, dieses Substrat zu schädigen. Geistige Eigentumsrechte müssen immer diesen Spagat berücksichtigen - und so ist es bzw. war es auch mit dem Patentrecht. Enge zeitliche Beschränkung, die Forderung nach Technizität und Erfindungshöhe sind - oder schon waren? - die Stellschrauben des Gesetzgebers, um diesen Abwägungstatbestand auszutarieren. Mit fortschreitender Wissensintensität von Produktion nimmt die Bedeutung des Funktionierens der Wissenssphäre zu. Die Stellschrauben werden derzeit aber in der anderen Richtung nachgezogen. Vorstellen der Diskussionspartner Eben Moglen, dessen "dot communist manifesto" in unserer Diskussion auch eine Rolle spielen soll - Sie finden ihn im Reader -, macht dies als Konflikt aus zwischen "Owner" und "Creator" und stellt die Adäquatheit des Eigentumsbegriffs für Ideen ganz grundsätzlich in Frage. Er sieht die Protagonisten sogar in der Rolle des Zauberlehrlings: "Aber das bürgerliche Eigentum ist kein magisches Amulett gegen die Konsequenzen bürgerlicher Technologie; der Besen fegt und fegt und das Wasser steigt und steigt." Und er argumentiert, dass die beiden Grundsäulen unserer Gesellschaft "Freedom" und "Creation" ohne einen freizügigen Zugang zu den Wissensressourcen wegbrechen werden.