Schafft der Kapitalismus (doch noch) die unternehmerische Persönlichkeit?
Fakten und Diskurse

mit Prof. Manfred Moldaschl (TU Chemnitz)

10. Mai 2006, 19:00 Uhr, GWZ (Beethovenstraße 15), Raum 5.015

Gemeinsame Veranstaltung von WAK-Leipzig und dem AK "Kritische Theorie" beim StuRa der Uni Leipzig

Abstract

Den Kapitalismus haben schon viele totgesagt, prominente Gegner wie Befürworter, unter letzteren wieder große Geister wie Joseph Schumpeter, oder kleinere wie Christoph Keese, der wieder zu seiner Rettung aufrufen zu müssen meint. Schumpeter sah den Niedergang des Kapitalismus bekanntlich im Aufstieg einer neuen Verwaltungskaste oder Bürokratieelite begründet, in seinen Worten in der "Managerherrschaft". Das, was den Kapitalismus in seinen Augen auszeichnete, nämlich als System den besonders kreativen und risikobereiten Wirtschaftsakteuren Freiräume zu bieten, in denen sie neue Produkte und neue Arbeit (Wohlstand) schaffen konnten, werde durch Konzentrations- und Bürokratisierungsprozesse im Keim erstickt. Der Kapitalismus schafft nach Schumpeter also zunächst die unternehmerische Persönlichkeit und dann (damit!) sich selbst ab. Nun, bislang hat er das nicht geschafft. Und auch wenn mit dem New Economy-Hype die Vision einer neuen "Unternehmergesellschaft" (in Turnschuhen) wieder verblasste, wird im hegemonialen Wirtschaftsdiskurs doch hartnäckig die These vertreten, nur ein Mehr an unternehmerischem Handeln könne Deutschland (nach Bedarf: die westlichen Gesellschaften, die Welt) aus der Krise führen. Entsprechend boomen Themen wie Entrepreneurship (Gründungsmanagement) oder Neue Selbständigkeit, und Institutionen wie Seed-Programme oder Industrieparks. Alles Ideologie? Was davon hat empirischen Gehalt?

Auf der anderen Seite die (anderen) Sozialwissenschaften. Als auch die an Marx orientierten Strömungen in den 1950er bis 1970er Jahren überwiegend "Abschied vom Proletariat" (Gorz) als revolutionärer Kraft nahmen, weil sich die Produktivkräfte offenbar geschichtswidrig mit den Produktionsverhältnissen arrangiert hatten, schien mit den "Neuen Managementkonzepten" auch das Ende der Subsumtionstheorie gekommen. Statt Verelendung sah man - von Randbelegschaften und dem wachsenden Heer der Arbeitslosen abgesehen - mit der "Wissensgesellschaft" nun ein anderes "postfordistisches Akkumulationsregime" aufziehen. Immer größere Teile der Arbeiterschaft sollten mit zunehmendem Qualifikations- und Wissensbestand in die Organisation der Produktion mit einbezogen werden, womit die das bisherige Herrschaftssystem stabilisierende Unterscheidung von Blau- und Weißkittel obsolet würde. Emanzipationschancen, wenn auch in den Steppnähten des Kapitalismus. Kaum hatte sich das als herrschende Folklore etabliert, kam, was kommen musste: Diagnosen von Retaylorisierung, Rehierarchisierung, Rückkehr des Manchester-Kapitalismus ("ohne Adjektive", Vaclav Klaus), und neuerlicher Verelendung des "Kognitariats" (Gorz). Wie werden die unterschiedlichen empirischen Signale gedeutet? Welche theoretischen Deutungen halten empirischen Prüfungen stand?

In meinem Beitrag versuche ich, zwei parallele Geschichten zu zeichnen: die belegbare Entwicklung von Arbeit und Subjektivität, und die ihrer wissenschaftlichen Deutung im akademischen Diskurs.

Manfred Moldaschl (25.04.2006)

Bericht

Entgegen Schumpeters Prognose kommt der Kapitalismus wohl doch nicht ohne "unternehmerische Persönlichkeiten" aus, wie der Referent mit der Inflation entsprechender Begriffe in verschiedenen heutigen Diskursen begründete. Kein Rauch ohne Feuer - das es dann zu suchen gilt. Bemerkenswert häufig enthalten diese Konzepte heute eine Selbstbezüglichkeit (Arbeitskraftunternehmer, Selbstausbeutung, Selbstmanagement, ...), die so im klassischen Unternehmerbegriff nicht angelegt ist.

Das damit verbundene Sich-Führen und zugleich Geführt-Werden hat viel auch mit einem semantischen Wandel des Unternehmerbegriffs zu tun. Die Spanne reicht vom "Undertaker" (England, 18. Jahrhundert), der eine Sache mit ungewissem Ausgang unternimmt und dabei für die Risiken und Nebenwirkungen mit seiner - auch finanziellen - Reputation einsteht, über den Koordinator, der in einer solchen "riskanten Operation" verschiedene Gestaltungselemente zusammenbringt und den Ausbeuter, der diese Position zur Aneignung des Mehrwerts nutzen kann (Marx), bis hin zur Innovationsfunktion, die mit einer solchen "riskanten Operation" oftmals verbunden ist (Schumpeter).

In frühen "unternehmerischen Persönlichkeiten" waren alle diese Funktionen vereint, während sich mit dem fortschreitenden Kapitalismus die Kapital- und die Koordinierungs/Innovations-Funktion auseinander entwickeln, so dass heute sinnvoll zwischen der Kapitalisten-Funktion (ersteres) und der Unternehmer-Funktion (zweiteres) zu unterscheiden wäre. Mit der Konsequenz, formulieren und vielleicht sogar empirisch belegen zu können, dass Unternehmer (in diesem Sinne) und Arbeiter sich beide auf ähnliche Weise "im Griff des Kapitals" befinden. Und so der Schumpeterschen Vision, mit die Abschaffung der unternehmerischen Persönlichkeit schaffe sich der Kapitalismus letztlich selbst ab, eine neue Interpretation zu geben, die sich - aus anderer Perspektive - auch in [Moglen-03] findet: Nicht mehr "Bourgeoisie und Proletariat", sondern "Owners and Creators". Aber letzterer Bogen wurde an diesem Abend nicht geschlagen.

Dass es gar nicht so einfach ist, Kapitalisten-Funktion und Unternehmer-Funktion getrennt zu denken, wurde in der Diskussion deutlich. Die Gründe für solche Denkschwierigkeiten sind zweifacher Natur. Einmal ist es die innere Verwobenheit beider Aspekte in bisherigen "unternehmerischen Persönlichkeiten", die viele der aktuellen Versuche der Übertragung unternehmerischer Ansätze im Sinne einer "indirekten Personalführung" auf Verhältnisse im Unternehmen als halbseiden entlarven. Für die zu erreichende Differenzierung ist es jedoch wenig hilfreich, auf das Argument: "Schau mal, wie lang die Leine gelassen ist." gleich zu antworten: "Aber die Leine ist immer noch da!" - also beide Aspekte auch in der Analyse ständig zu vermischen. Und zweitens macht es die starke ökonomische Überformung aller Lebensbereiche schwierig, eine Trennung zwischen cash flow und work flow vorzunehmen.

In letzterer Frage ist die Praxis allerdings oft viel weiter als die Diskussion dazu. Fast jedes Unternehmen ist heute gezwungen, über die Sicherung "weicher" Faktoren nachzudenken, die viel mit einer kompetenten, wissenden, motivierten Belegschaft sowie verschiedenen Formen von Kunden- und Zulieferermanagement zu tun haben und Aufwendungen erfordern, deren "Return on Invest" sich nicht in Heller und Pfennig umrechnen lässt. Die Belange einer strategischen organisatorisch-technologischen Ausrichtung eines Unternehmens und einer kurzsichtigen RoI-Rechnung geraten oft genug in Konflikt miteinander - oftmals auch als Konflikt in der Unternehmensführung zwischen CEO und CTO personalisiert.

Ein Detail fällt dem gelernten DDR-Bürger zusätzlich auf: Die "neuen Ideen" der strukturellen Behandlung dieser Konflikte (Simulierung marktähnlicher Bedingungen für die Kommunikation innerhalb eines Unternehmens) erinnern bis in Einzelheiten stark an die Versuche, im "Staatsunternehmen DDR" ähnliche Steuerungselemente zu installieren. Diese Parallelen genauer zu untersuchen, wäre für linke ökonomische TheoretikerInnen eine ganz besondere Herausforderung.

[Moglen-03]
Eben Moglen: The dotCommunist Manifesto, Januar 2003. Siehe http://emoglen.law.columbia.edu/publications/dcm.html.

Hans-Gert Gräbe (11.05.2006)


Prof. H.-G. Gräbe